Von Maya, Mut und Möglichkeiten

Von meiner pfiffigen kleinen Nichte Maya habe ich gelernt: Geht nicht – gibts nicht!
Am letzten Samstag hat sie ihren zweiten Geburtstag gefeiert. Wir haben zusammen gespielt, und sind mit ihren kleinen Fahrzeugen Wettrennen durch den Garten gefahren. Sie wollte unbedingt einen Anhänger für ihren Bobbycar haben und hat sich dafür einen kleinen Schiebewagen auserkoren. „Maya, das geht doch nicht“, war meine erste Reaktion, als sie die beiden Fahrzeuge zusammenschob. Aber Maya ließ nicht locker – und am Ende haben wir gemeinsam eine Konstruktion ausgetüftelt, die zwar nicht dem klassischen Bild von Bobbycar mit Anhänger entspricht, aber mit der sie genauso schnell weiter flitzen konnte (s.u.).

Das hat mich ins Nachdenken gebracht – viel zu oft denke ich „Das geht doch nicht“ und hake die Sache damit ab, anstatt den Gedanken um die Ecke weiter zu spinnen und andere, ungewöhnliche Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Mir liegt die Welt mit all ihren Möglichkeiten genauso zu Füßen wie Maya, die gar nicht fragt, ob etwas möglich ist oder nicht, sondern es einfach ausprobieren will.
In meinem Alltagsgrau verliere ich so schnell meinen Möglichkeitssinn. Und den Mut, dann überhaupt die improvisierte Lösung oder neue Dinge auszuprobieren – denn der „normale“, altbewährte Weg ist oft bequemer und einfacher. Bobbycarfahren ohne Anhänger geht ja auch – aber macht halt nur halb so viel Spaß.

Für diesen Herbst – der Jahreszeit, die wie keine andere all unsere Sinne anspricht – nehme ich mir vor, wieder meinen Möglichkeitssinn zu schärfen. Und mutiger das, was ich an Möglichkeiten wahrnehme, auch anzugehen. Ohne Angst vor Menschen oder Misserfolgen.
Was kann das konkret heißen? Ich spinne einfach mal ein bisschen rum, was es für Möglichkeiten gibt, die ich in meinem Alltag oft wenig oder nur rudimentär umsetze und wo ich nun sagen will: Geht nicht – gibts nicht!

Ich hab den Mut und die Möglichkeit, zum Beispiel, um:

  1. Nicht nur an besonderen Tagen, sondern auch mal jeden Tag ein Schokocroissant essen (denn: geht nicht – gibt’s nicht!)
  2. Mein Handy ein Wochenende lang auslassen (denn: geht nicht – gibt’s nicht!).
  3. Fremde Leute ansprechen und ihnen (ehrlich gemeinte!) Komplimente machen (denn: geht nicht – gibt’s nicht!).
  4. Endlich das Treffen mit alten Freunden umsetzen. Koste es was es wolle an Zeit und Geld (denn: geht nicht – gibt’s nicht!).
  5. Nein sagen (denn: geht nicht – gibt’s nicht!).
  6. Jemandem ein Geheimnis erzählen (denn: geht nicht – gibt’s nicht!).
  7. Geld spenden. Großzügiger als bisher (denn: geht nicht – gibt’s nicht!)
  8. Pläne fürs nächste Jahr schmieden. Und erstmal: ohne Einschränkung wild träumen – was würde ich eigentlich gerne tun?? (denn: geht nicht – gibt’s nicht!)
  9. Endlich einen Versuch mit dem Folklore-Tanzkurs wagen (denn: geht nicht – gibt’s nicht!)
  10. Den unbekannten Leuten, deren Hauseingang – mit Blumen, Kerzen, Kreidezeichnungen – mich oft zum Lächeln bringt, einen Gruß hinterlassen (denn: geht nicht – gibt’s nicht!).
  11. Spontan einen Tag oder ein Wochenende verreisen (denn: geht nicht – gibt’s nicht!).

Dies ist eine offizielle Absage an alle Ausreden und Ausfluchten. Ich wünsche mir, mit offenem, aufmerksamen Zuhören und mit wachsamen, durchdringenden Blicken für mich selbst, und für meine Umwelt, durch diese Tage zu gehen. Ich wünsche mir, wieder mehr zu träumen und verrückte Ideen zu spinnen, mich nicht von Konventionen beherrschen zu lassen. Und bei all den größeren oder kleineren Fragen, Entscheidungen und Erlebnissen auch die andere Möglichkeit – vielleicht sogar das genaue Gegenteil?! – in Betracht zu ziehen. Das was nicht ist, was aber sein und werden kann. Egal wie unpassend, ungewöhnlich oder umständlich es auf den ersten Blick scheinen mag.

Es gibt natürlich Dinge, die „nicht gehen“, und sich technisch oder physikalisch, manchmal auch menschlich, nicht umsetzten lassen – beispielsweise kann ich nicht um 12 Uhr in Berlin und eine Stunde später in New York sein. Oder plötzlich fliegen, wenn ich meine Arme nur weit genug ausbreite. Aber um diese Dinge geht es auch gar nicht, sondern vielmehr um die Dinge, für die mir die Phantasie fehlt, die ich nicht für möglich halte, weil „man das nicht so macht“, oder weil mein Denken schon vorher einschläft.

Vor einiger Zeit wurde ich gefragt, ob ich auf eine Südafrika-Reise mitkommen möchte. Ich habe den Kopf geschüttelt und gelacht, denn der Freund, der mich fragte, weiß genau, dass ich einen festen Job habe und nicht einfach mal so nächste Woche Urlaub nehmen oder mehrere Wochen fehlen kann. Auf meine Einwände antwortete er mir ebenfalls lachend: „Warum nicht? Wenn du etwas wirklich willst, kannst du viel bewegen und auch viele Hebel in Bewegung setzen. Du bist nicht Sklave deiner Lebensumstände – wenn du jetzt kündigst, kannst du zum Beispiel in 3 Monaten mit nach Südafrika. Überleg dir also: Was willst du wirklich?“
Natürlich ist die Realität oft etwas komplexer – „einfach kündigen“, oder „einfach irgendwohinfahren“ braucht zumindest etwas Vorlauf und so manche Vorbereitung. Aber ich musste ihm – genau wie Maya – dennoch recht geben: Meine erste Antwort „Das geht doch gar nicht“ war nicht richtig: Denn grundsätzlich gab es die Möglichkeit, für mich nach Südafrika zu reisen – hätte ich es unbedingt gewollt, hätte ich dafür eben einige Dinge anpacken und auch aufgeben müssen.
Dass so solche unkonventionellen Wendungen tatsächlich auch möglich sind, habe ich zum Beispiel letztes Jahr erlebt, als ich ein halbes Jahr in Jerusalem war – eine Idee, die zunächst völlig verrückt schienen und die sich doch viel leichter als gedacht realisieren ließ. Diese Zeit war voller Segen, besonders auch in den Begegnungen mit verschiedensten Menschen. Gerade vielen Israelis ist der Möglichkeitssinn mit in die Wiege gelegt und ihre Spontaneität und Freiheit, ihre Kreativität und Offenheit hat mich beeindruckt.

Robert Musil schreibt zum Möglichkeitssinn: „Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehn; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein.“

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Danke, Maya, für dein (Bei-)Spiel und für den Anstoß zu neuem Mut inmitten dieser Vielfalt an Möglichkeiten in meinem Leben!

Einsteigen, bitte.

Einsteigen, bitte. Die Hängemattenreise beginnt.
Wo geht’s hin? In die Weite. In die weite Ferne.

Mach die Augen zu.
Höre auf den Wind. Heute macht er der großen Eiche den Hof. Selig von seinen Schmeicheleien wiegt sie sich hin und her.
Hör die Möwen rufen. Der neuste Möwen-Klatsch & Tratsch verbreitet sich in Windeseile. Das klingt alles eintönig – die Melodie aber ist einzigartig.
Lehn dich zurück. Spüre deine Glieder. Der schwere Po, der tiefste Punkt. Der Rücken, rund gemacht. Jede Bewegung von Armen und Beinen schlägt Wellen, zieht neue Bewegungen nach sich. Und in allem umschlossen, geborgen: in der Hängematte.
Öffne den Mund. Fang einen Regentropfen mit der Zunge auf. Oder war es der Morgentau?
Öffne die Augen. Himmel, so weit das Auge reicht. Wolken. Sonnenlicht.
Und beständiger Wandel.

[Hastings, England, August 2015]

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