Post für mich

Heute gibt es Post. Post für mich. Das war zuletzt im Februar der Fall gewesen, als die Nebenkostenabrechnung kam. Sonst bekomme ich nie Post. Die Werbung zählt natürlich nicht, die wird auch ohnehin nur zum Bett für den Biomüll.
Heute gibt es Post, nicht nur einen kleinen, dünnen Umschlag, sondern einen von diesen großen, braunen mit den Luftpolsterkreisen zum Platzenlassen. Schon bei der Vorstellung daran, gleich ein Plopp-Popp-Konzert geben zu können, muss ich grinsen. Dann beäuge ich den großen Umschlag näher. Meine Adresse ist auf ein Etikett gedruckt, fein säuberlich. Als Absender steht da nur handschriftlich E.F. Ich beschnuppere den Umschlag, weil mir das alles ein wenig merkwürdig vorkommt. Er riecht nach Pferden und Schweiß, finde ich, irgendwie Bauernhof. Passt jedenfalls weder zu mir noch zu dieser Stadt. Vorsichtig befühle ich den Umschlag. Irgendetwas Größeres steckt da drin, und leicht spitzes, nicht ganz rundes. Also kein Buch oder  keine DVD. Hätte sonst ja auch sein können, dass eine fehlgeleitete Onlinebestellung da drinsteckt. Ich bestelle nie online. Nicht weil ich die Firmenpolitik von Amazon blöd finde, die ist mir ziemlich schnuppe, sondern weil ich online nichts sammeln kann. Keine Payback-Punkte, sondern Details für mein Verkäuferalbum sammeln.
Ich kenne jede Verkäuferin und jeden Verkäufer in meinem Viertel, angefangen bei der dicken Frau Zinndorf in der Buchhandlung bis hin zum schlacksigen jungen Bäckerssohn in der Konditorei Fritz. Heimlich habe ich von jedem ein Foto gemacht, mit dem Handy ist das unbemerkt gar kein Problem. Die Fotos habe ich alle in ein Album geklebt und jetzt sammle ich Details. Die Brille von Frau Zinndorf ist lila und von Fielmann. Von Herrn Müller von der Weinhandlung mit dem langen Zopf habe ich einmal ein dunkles Haar in einem der Regale entdeckt. Frau Lang vom Edeka ist mal einer ihrer künstlichen türkisen Nägel mit Kätzchen drauf abgebrochen, und als ich ein 1-Euro-Stück fallen lies, konnte ich ihn ungesehen aufheben. Jetzt klebt er neben ihrem Bild und einigen Sätzen zu ihrer Vorliebe für gestreifte Blusen und ihrer kleinen kahlen Stelle hinter dem linken Ohr, die sie immer zu verbergen sucht.
Online bestellen geht für mich also gar nicht, aber eine falsch adressierte Sendung eines anderen Kunden scheint dies also auch nicht zu sein. Das Etwas in dem Umschlag scheint aus verschiedenen Schichten zu bestehen, jedenfalls gibt es einen Teil, der sich höher abzeichnet als der Rest, der eher quadratisch ist. Ein wenig knistert es auch, also ist vielleicht auch eine Nachricht mit drin? Oder eine Rechnung. Man kann ja heute nicht nur Bücher und DVDs online bestellen, sondern auch Zahnbürsten oder Zitronen. Oder das Knistern ist doch einfach nur vom Popp-Plastik.
Ich ziehe mein großes Küchenmesser aus der Schublade und öffne den Umschlag. Mir fällt ein kleines Radio entgegen und ein Zettel, auf dem in kleinen gedrungen Buchstaben eine Zahlenkombination steht: 106.5.87.4.88.9.111.2.

[Textfragment entstanden auf dem Benediktshof] – Habt ihr Lust auf eine Fortsetzung?

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